SSC Bari - Cagliari Calcio

Dem Stadio San Nicola in Bari an einem kalten Novemberabend oder bei einer «Kehrauspartie» gegen den Tabellenfünfzehnten aus Cittadella einen Besuch abzustatten, grenzt an Ehrverletzung. Zu stark versprüht diese Spielstätte, ihr Klub und dessen Fanszene den Charme des italienischen Fussballs der 90er-Jahre, den ich zu verpassen so oft schon hervorgehalten bekam. Mit dem Rückspiel des Playoff-Finals der Serie B gegen Cagliari Calcio war der Rahmen endlich passend, mich in Apulien in die «glorreichen Zeiten» zurückversetzen zu lassen.

Wie in La Spezia zählt auch in der Hauptstadt der Region ein Schweizer zu den Pionieren, die 1908 den Bari FC ins Leben gerufen haben. 115 Jahre später begleitet der Zusatz Società Sportiva Calcio (SSC) den Klub, der auch schon die Akronyme «AS» oder «Calcio» als Beinamen besass. Grund dafür waren – wie so oft in Italien – finanzielle Probleme, die etwa 2014 in der Insolvenz oder vier Jahre darauf gar im Ausschluss aus der Serie B und dem Fall in die Viertklassigkeit geendet hatten. Eine Konstante stellt hingegen der Hahn im Vereinswappen dar, der auf die Umfrage eines lokalen Sportjournalisten in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg zurückging. Zum Eintritt des Klubs in die höchste Liga sollte dieser, wie zahlreiche andere im Land, fortan auch von einem Tier repräsentiert werden. Bei der Abstimmung stach der Hahn unter anderem den Adler, das Eichhörnchen, die Gazelle und das von einer konkurrierenden Gazette vorgeschlagene Rotkehlchen aus.

Eine weitere Konstante in der süditalienischen Hafenstadt bildet die lokale Fanszene, die mit dem Dreigestirn um die Gruppen «Seguaci della Nord», «Bulldog» und «Re David» zu den etabliertesten des Mezzogiornos zählt. Im weiss gekleideten Teil der Kurve, welcher die Heimat der Bulldog darstellt, ist an diesem Abend zusätzlich die Zaunfahne des Ultras Movement Salerno (UMS) aufgehängt, während die 1976 gegründeten «Anhänger aus der Nordkurve» nebst dem Direttivo der Curva Sud Siberiano auch auf ihre Freunde aus Reggio Calabria zählen können. Einzig die nach einer Strasse im Quartier Carrassi benannte Gruppe Re David scheint zum wichtigen Spiel keine auswärtigen Fans in den eigenen Reihen zu begrüssen.

Mit dem Segen des Nikolaus

Bevor der Zuschauer aber einen Blick ins eindrückliche Rund erhaschen kann, hat dieser in einer der langen Schlangen auszuharren, die sich in Baris südlicher Peripherie bereits drei Stunden vor Anpfiff um das Stadion gebildet haben. Benannt nach dem Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Stadt, erinnert es von aussen an ein Ufo, während sich im Innern angekommen ein Vergleich mit der Spielstätte Napolis anbietet, wäre da nicht der in 26 Sektoren aufgeteilte Oberrang. Dieser verleiht dem WM-Stadion von 1990 zwar seine besondere Charakteristik, schützt aber nur bedingt vor der Witterung, zumal merkwürdigerweise die jeweiligen Aufgänge und nicht die Abschnitte selbst überdacht sind.

Doch nicht der in der 2. Halbzeit einsetzende Regen avancierte im Showdown um den Aufstieg in die Serie A zum Stimmungskiller, sondern ein verzweifelter Angriff der Gäste aus Cagliari tief in der Nachspielzeit. Weil in Italien auch im Playoff-Final das in der Liga besser klassierte Team bei einem Remis als Sieger aus dem Duell hervorgeht, waren in den vorangehenden 90 Minuten (nach einem 1:1 im Hinspiel) wenig überraschend keine Tore gefallen. Diese defensive Grundhaltung der Gastgeber rächte sich 160 Sekunden vor dem Schlusspfiff, als Leonardo Pavoletti nach einer Flanke doch noch für die Sarden traf.

Bei den rund 800 mitgereisten Gästefans rund um die Sconvolts kannte der Jubel daraufhin keine Grenzen mehr und selbst Trainer-Altmeister Claudio Ranieri, der Cagliari damit – wie einst 1990 – zurück ins Oberhaus führte, wurde von den Emotionen übermannt. Dennoch fühlte sich das 0:1 in der 94. Minute selbst für den neutralen Zuschauer wie ein Schlag in die Magengrube an, verzeichnete das San Nicola mit 58’206 Zuschauern doch die grösste Kulisse seiner bisherigen Geschichte, die im jüngsten Kapitel allerdings keine euphorische Aufstiegsfeier, sondern eine kollektive Schockstarre bereithielt.

Ideale Alternative

Wer in Bari ursprünglicheren Fussball geniessen will, ist im Vorstadtquartier Palese-Macchie bestens aufgehoben. Hier ist der 2012 gegründete Siebtligist Ideale Bari zuhause, der seine Heimspiele auf dem «Campo di Calcio Gioacchino Lovero» austrägt. Der von ehemaligen Bari-Ultras gegründete Verein versteht sich als Gegenentwurf zum modernen Fussball fern von Wettskandalen, Repressionsmühlen und Kommerzialisierungsbestreben. Das St. Galler Fussballmagazin SENF hat dem Vertreter des «Calcio Popolare» in seiner 14. Ausgabe einen Besuch abgestattet.


BK Skjold - FC United of Manchester

Der Parco Sempione wird südlich von der riesigen Festung Castello Sforzesco und nordwestlich von einem etwas weniger imposanten Triumphbogen begrenzt. Im Osten der grössten Mailänder Parkanlage steht mit der Arena Civica, dem ältesten Stadion Europas, ein weiterer Blickfang. Anfang des 19. Jahrhunderts von Napoleon Bonaparte in Auftrag gegeben und 1807 als Amphitheater eröffnet, beherbergte es nebst nachgestellten Seeschlachten einst auch die beiden grossen Mailänder Fussballklubs, bevor diese weiter ins Quartier San Siro zogen, wo das zweite historische Stadion in der norditalienischen Metropole sein Dasein fristet.

Beide Spielstätten sind in diesem Jahr Austragungsort der K.o.-Phase der Fenix Trophy, einer Art Europacup der Amateure. In Form eines Final-Four-Turniers wird hier der Gewinner gekürt, der den Pokal – nach der Premiere in Rimini im Vorjahr – zum zweiten Mal in den italienischen Nachthimmel stemmen darf.

Initiant der Fenix Trophy, deren Name auf ein englisches Akronym (friendly, European, non-professional, innovative, xenial) zurückgeht, ist Alessandro Aleotti. Der Präsident des italienischen Achtligisten Brera Calcio, der wie die Arena Civica nach dem engagierten Sportjournalisten Gianni Brera benannt ist, verfolgt seit der Jahrtausendwende den Traum, seinen Klub als dritte Fussballmacht Mailands zu etablieren. Die Fenix Trophy, und damit auch Spiele in sonst kaum bespielten Stadien, soll zudem helfen, die Marke «Brera» etwa in Nordmazedonien (FC Brera Pandev) und Mosambik (Brera Tchumene FC) oder gar in anderen Sportarten (Brera Basketball) zu etablieren. Auch Sohn Leonardo nimmt am ambitionierten Vorhaben teil und ist dabei nicht nur am Spieltag umtriebig. Besonders die Zusammenstellung des internationalen Teilnehmerfelds in Form aussergewöhnlicher europäischer Amateur- und Halbprofiklubs stellt eine administrative und koordinative Herausforderung dar.

Einer dieser «Kultklubs» ist der FC United of Manchester, den Fans der Red Devils 2005 aus der Taufe hoben, um gegen die Übernahme durch den amerikanischen Unternehmer Malcolm Glazer zu protestieren. Der mittlerweile siebtklassige Klub steht im Halbfinal dem Boldklubben Skjold aus Kopenhagen gegenüber, einem der ­– gemessen an der Mitgliederzahl – grössten Fussballvereine Dänemarks. 450 Zuschauer, darunter die Mehrheit aus Manchester, sehen einen 3:2-Sieg der Dänen, bei denen einst schon Pierre-Emile Højbjerg und Yussuf Poulsen ihre Karriere lancierten.


Girondins Bordeaux - Rodez AF

2014 stattete ich Girondins Bordeaux im alten Stade Chaban-Delmas bei der Partie gegen Stade Rennais einen Besuch ab. Während der damalige Gast in der Saison 2022/23 einen Punkterekord realisierte, verlief der Weg der Girondisten durch das letzte Jahrzehnt einiges turbulenter: Vielseitigen Tiefpunkt stellte die Saison 2021/22 dar, als der Klub die Insolvenz sowie den Fall in die Drittklassigkeit zwar im allerletzten Moment verhindern konnte, nichtsdestotrotz als Tabellenletzter aber erstmals aus der Ligue 1 abstieg.

Nach einer ansprechenden Saison im Unterhaus, in der besonders die Fankurve auch dank der Anpassung der Ticketpreise wieder immense Lust verspürt hatte, bot sich am letzten Spieltag mit einem Heimsieg – bei einem zeitgleichen Patzer von Metz – die Chance auf den prompten Wiederaufstieg. Wenig überraschend vermeldete die im Zuge der EM 2016 gebaute Spielstätte am nördlichen Stadtrand für diese Partie ausverkaufte Ränge. Besonders die Fassade des Stade Atlantique sorgt mit ihrer Pfeilerstruktur für einen bewussten Blickfang seitens des Schweizer Architektenduos «Herzog & de Meuron».

Für einen würdigen Rahmen im «Spiel um alles oder nichts» sorgten die Ultramarines aus der Virage Sud. Bereits Stunden vor der Partie hatte die etablierte Gruppierung einen Empfang des Teambusses organisiert und zeigte zum Einlauf der Mannschaften eine gelungene Choreografie über beide Ränge. Eine aus Unstimmigkeiten während der Corona-Pandemie entstandene Abspaltung steht zudem im Oberrang gegenüber und bildet hinter einer Zaunfahne mit der Aufschrift «North Gate» ein zweites, deutlich kleineres, Stimmungszentrum.

Von den Rahmenbedingungen beflügelt, legten die Girondisten engagiert los und erarbeiteten sich Chancen im Minutentakt, boten den Gästen durch die offensive Ausrichtung aber immer wieder Gelegenheiten für Konter. Einen davon nutzte Rodez, das nur noch mit einem Auswärtssieg den Klassenerhalt bewerkstelligen konnte, in der 22. Minute zum 0:1 aus Sicht des Favoriten. Der anschliessende Jubel in eine unmittelbar vor dem Heimblock positionierte Kamera ging für einen Bordeaux-Anhänger zu weit: Er verschaffte sich Zutritt zum Innenraum und stiess den Torschützen zu Boden.

Es folgte ein rund einstündiger Unterbruch, ehe bei den 41’591 Zuschauern Gewissheit herrschte, dass die Partie zumindest an diesem Abend nicht wieder angepfiffen werden würde. Weil parallel der FC Metz zudem sein abschliessendes Heimspiel siegreich gestaltete, lösten sich auch die letzten Hoffnungen auf den Aufstieg und eine Freinacht im Stadtzentrum von Bordeaux in warme Sommerluft auf.

Immer wieder Annecy

Tatsächlich wertete die Liga die Partie nach Tagen der Ungewissheit als 1:0-Erfolg für die Gäste, was Rodez von einem Abstiegsplatz (17.) bis ins hintere Tabellenmittelfeld (14.) bugsierte. Grosser Verlierer des letzten Spieltags war hingegen der FC Annecy. Dieser hatte in der Vorwoche dank eines Triumphs über Bordeaux nicht nur erst einen derartigen Saisonfinal ermöglicht, sondern auch den vermeintlichen Klassenerhalt gefeiert. Durch den überraschenden Forfait-Sieg des Klubs aus Okzitanien, bei dem Annecy dem betroffenen Rodez-Spieler theatralisches Verhalten vorwarf, endete für den FCA die Spielzeit doch noch mit dem Abstieg in die dritte Liga.

Am bitteren Schicksal des Klubs konnte auch dessen Einsprache sowie der Vorschlag einer Durchführung der kommenden Ligue-2-Saison mit 21 Teams nichts ändern. Übrigens: Der Bordeaux-Anhänger, der den Spielabbruch herbeigeführt hatte, lebt ausgerechnet in Annecy.


Spezia Calcio - Torino FC

«Da, rechts!», entfährt es mir. Michael, der meine energische Stimmlage als pflichtbewussten Beifahrer seit vielen Jahren kennt und einzuschätzen vermag, bremst unverzüglich. Das abrupte Stoppmanöver kommt gerade noch rechtzeitig, um unser Auto einigermassen elegant auf ein rares Nebensträsschen zu lenken, das der Passstrasse am Monte Santa Croce entspringt.

Im Gras auf dem Abhang hinter der Leitplanke sitzend, geniessen wir die Aussicht auf die Bucht von La Spezia in der Dämmerung einer lauen Sommernacht. Am hellsten leuchten die Flutlichter des «Stadio Alberto Picco», in dem Spezia Calcio vor leeren Rängen zur letzten Partie der regulären Serie-B-Saison gegen Cosenza antritt. Grund für das Geisterspiel ist keine Zuschauersanktion, sondern die Ungewissheit der Corona-Pandemie im Juli 2020, die unserer Reisegruppe zwar einen Spielbesuch verwehrt, aber auch einmalige Eindrücke fern von Touristenmassen in Portovenere sowie den fünf Küstendörfern der Cinque Terre beschert.

Mit einem 5:1-Heimsieg über die Kalabrier schoss sich Spezia Calcio damals für die Playoffs warm, in denen die Spezzini Wochen später den Aufstieg ins italienische Oberhaus fixierten. So kam es, dass ein erneutes Aufkreuzen in La Spezia verbunden mit einem Spielbesuch im (!) Stadion für mich die erstmalige Komplettierung der Serie A markieren würde. Umstände, welche die malerisch gelegene Spielstätte mit ihrer geschwungenen Heimkurve, dem eingangs erwähnten Monte Santa Croce im Hintergrund und der Haupttribüne mit Giebeldach gleich noch einmal an Attraktivität gewinnen liessen.

Mit 10’776 Zuschauern fasst sie so wenig Fans wie keine andere Baute der Serie A und trägt den Namen des ersten Torschützen des Klubs, der kurz darauf im 1. Weltkrieg fiel. Mit der «Curva Ferrovia», hinter der einst die Eisenbahn zu einem Arsenal führte, steht ein zweiter Begriff rund um die Heimat von Spezia Calcio in Verbindung zum Militär. So passt auch die Parade ins Bild, mit welcher die Heimfans den Teambus von der Espressobar Piccolo Faro (kleiner Leuchtturm) bis zum Stadion geleiten.

«Militärische Disziplin» liess im letzten Heimspiel der Saison einzig die Mannschaft vermissen, die sich Torino – mit dem Schweizer Captain Ricardo Rodriguez – gleich mit 0:4 beugen musste. Damit zittert der von Schweizer Kaufmännern gegründete Klub drei Jahre nach dem Aufstieg weiter um den Verbleib in der Serie A.


FC Südtirol - Reggina 1914

1312 Kilometer trennen die Städte Reggio Calabria und Bolzano voneinander. Kein anderes Duell auf dem italienischen Festland erfordert eine längere Anreise – dennoch war der Gästeblock mit 625 Reggina-Fans innert weniger Minuten ausverkauft. Deren Team hatte sich erst dank eines Siegtors in der Nachspielzeit am letzten Spieltag für die Playoffs der Serie B qualifiziert und damit einem Punkteabzug getrotzt, den sich die Kalabrier zuvor durch nicht entrichtete Einkommenssteuern und fehlende Gehaltszahlungen eingefangen hatten.

Der Auftritt in Bozen – im Südtirol lebt eine deutschsprachige Mehrheit – ist für die Gäste damit Bonus einer sportlich gelungenen Saison, während sich der FC Südtirol bereits in der Aufstiegssaison in Richtung italienisches Oberhaus orientieren darf. Trotz der jüngsten Erweiterung des eigenen Stadions müsste der nördlichster Profiklub Italiens seine Heimspiele in der Serie A im Exil austragen, zumal das Stadio Druso den Ansprüchen der Liga nicht genügt – da hilft weder die denkmalgeschützte Haupttribünenfassade noch das sehenswerte Panorama mit den letzten Ausläufern der Dolomiten am Horizont.

Direkt unter dem Gebirgszug liegt mit der «Gradinata Nord» das Zuhause der kleinen Fanszene, die eindeutig italienisch geprägt ist und dies prominent zur Schau stellt: Nebst zahlreichen Italien-Fahnen sprechen diese Anhänger auch nicht vom FC Südtirol in Bozen, sondern vom FC Alto Adige in Bolzano. Damit torpedieren sie die Absicht der Gründerväter in Form lokaler Unternehmer, die Mitte der 1990er-Jahre einen Profifussballklub im Südtirol aufbauen wollten, der beide Bevölkerungsgruppen eint und bis heute tatsächlich auf der Webseite als auch bei den Stadiondurchsagen zweisprachig geführt wird.

Im italienischen Playoff-Format genügt dem in der regulären Saison besser platzierten Team jeweils ein Unentschieden zum Weiterkommen. Diese Hürde wird in der Playoff-Vorrunde für den Aussenseiter gar noch erhöht, da es kein Rückspiel gibt und das besser klassierte Team im entscheidenden Aufeinandertreffen Heimrecht geniesst.

So kann der FCS auch im Duell mit den Süditalienern seinem Erfolgsrezept treu bleiben und tief stehend mit wenig Ballbesitz auf Konterchancen lauern. Orchestriert von Routinier und Ex-Atalantino Andrea Masiello lässt die Südtiroler Defensive auch an diesem Freitag vor 5419 Zuschauern trotz geringer Spielanteile kaum Grosschancen zu. Kurz vor Schluss setzen die Gastgeber zum Gegenangriff an und besiegeln mit dem 1:0 das eigene Weiterkommen, während sich Reggina-Trainer Filippo Inzaghi und seine Mannschaft in die Sommerpause verabschieden müssen.


Rot-Weiss Essen - VfB Oldenburg

Geht es um Groundhopping, einen Begriff, den ich auf dieser Webseite mit dem Zusatz «game-changing reports» mittlerweile bewusst umschiffe, finden sich in meinen Lesezeichen gerade einmal zwei Auftritte, die ich regelmässig konsultiere und besonders in Zeiten inflationär entstehender Instagram-Groundhopping-Profile zu schätzen weiss.

Einerseits betrifft dies Bernd aus Meppen, ein geschätzter Kollege, dessen Webpräsenz Fever Pitch mir besonders wegen der ansprechenden Spielauswahl und des unterhaltsamen Schreibstils gefällt, der nicht primär auf das Geschehen auf dem Platz abzielt. Die andere Webseite gehört Michael aus Essen, der auf Groundfever sein Hobby in Form einer unheilbaren Krankheit passend beschreibt. Im Gegensatz zu Bernd besucht er Spiele in höherer Kadenz und gewährt dem Leser besonders bei exotischen Reisen stets einen kulturellen Kontext.

Zum Abschluss meiner Vortragstournee zur indonesischen Fankultur in Nordrhein-Westfalen bot sich ein Besuch bei Rot-Weiss Essen an, bei dem mich Michael als Lokalmatador begleitete und mir vorab noch die Zeche Zollverein zeigte. Als ehemaliges Steinkohlebergwerk stellt es heutzutage ein UNESCO-Welterbe dar und bietet dem Besucher einen guten Überblick zum einst führenden Industriezweig im Ruhrgebiet.

Kein Welterbe, aber für Teile der Essener Bevölkerung dennoch eine elementare Baute, steht an der Hafenstrasse 97a, auch wenn das einstige Georg-Melches-Stadion mittlerweile einem Neubau (mit Potenzial zur Erweiterung) weichen musste. Dass es an diesem Sonntagnachmittag aber nur selten so laut wird wie in der alten Heimat, liegt nicht an der Infrastruktur, sondern nebst einem mauen 0:0 vor 17’657 Zuschauern auch am Zerwürfnis zwischen dem Klub und seiner Fanszene. Diese unterstützt das Team im Abstiegskampf der 3. Liga zwar weiterhin akustisch, verzichtet aber seit der Aussprache von 76 Hausverboten im Herbst 2022 auf jegliche visuelle Aktionen.

Auch beim VfB Oldenburg lassen sich gewisse Differenzen erahnen, wobei diese den Fanblock isoliert tangieren: Beim Auftritt in Essen positioniert sich die neu gegründete Gruppe Succade Ultrà Oldenburg, die hier das Verhältnis zum einstigen Commando Donnerschwee erläutert, am oberen Ende des Blocks, während sich im unteren Bereich die Oldenburger Vertreter der dritten Halbzeit (OL Hooligans) mit befreundeten Personen aus Aachen (Boxstaffel 520) einfinden.


Borussia Dortmund II - SV Elversberg

Fast droht sie im Schatten des Westfalenstadions unterzugehen: die Rote Erde in Dortmund. Dabei braucht sich die altehrwürdige Spielstätte, deren Name auf eine historische Bezeichnung für die Region Westfalen zurückgeht, vor ihrem jüngeren und doch grösseren Bruder nicht zu verstecken: Nebst grosszügigen Stehtraversen zeichnen die schöne Bruchsteintribüne und auf der Gegenseite ein kleiner Turm – ebenfalls aus Bruchstein – sowie das Marathontor das Stadion aus, das bis zur WM 1974 Heimat für den BVB war.

Zu Gast auf der Roten Erde ist an diesem Samstag der überraschende Tabellenführer aus Elversberg, dessen Aufstieg in die 2. Bundesliga dank eines komfortablen Vorsprungs bereits früh in der Rückrunde nur noch eine Frage der Zeit ist. Zumindest in Dortmund müssen sich die Saarländer von den Jungborussen aber den Zahn ziehen lassen, während diese vor 2392 Zuschauern einen wichtigen 2:0-Heimsieg einfahren.

Für den Glanzpunkt sorgen aber nicht die Akteure auf dem Rasen, sondern die «Ultras von die Amateure» am Tribünenrand. Im ersten organisierten Auftritt seit langer Zeit bugsieren sie mich nach einem gelungenen Intro mit schönen Trommelrhythmen und originellem Liedgut zeitweise gefühlt nach Süditalien. Den starken akustischen Auftritt untermalen Pyrotechnik und zahlreiche kleine Schwenkfahnen, wobei den Fans, die auch in der Bundesliga im Dortmunder Block stehen, die Reife anzumerken ist.

Dass ich ob eines Kurvenauftritts ins Schwärmen gerate, ist gerade in Deutschland selten geworden. Zu oft nämlich kann der Matchbesucher hier bereits im Voraus erahnen, was ihn – auf hohem Niveau – erwarten wird und Überraschungen bilden besonders in Stadien eine Ausnahme, in denen der Stimmungskern nur einen verschwindenden Teil einer Stehtribüne ausmacht. Gerade für die Dortmunder Fanszene gibt es im Bundesliga-Alltag kaum je eine Partie, in der ihr Klub von weniger als 3000 Anhängern unterstützt wird – ganz zu schweigen von Heimspielen, auf der sich die aktiven Fans den Platz auf der Südtribüne mit abertausenden Menschen teilen, die – wenn überhaupt – nur bedingt Interesse an Stimmung oder gar der Subkultur aufweisen.

Nicht so neben dem Westfalenstadion, wo die etablierte Fanszene ausnahmsweise in kleinem Rahmen zu sehen ist und mit einem Liedgut überzeugt, das in den grossen Stadien der Republik kaum funktionieren würde. So verwundert es wenig, dass im Zusammenhang mit der Roten Erde aus einem mir bekannten Dortmunder Mund die Begriffe «Kontrastprogramm» und «Oase» fallen.


VfL Bochum - Borussia Dortmund

Ein ausverkauftes Lokalduell an der Castroper Strasse unter Flutlicht klingt vielversprechend in den Ohren eines Fussballfans. Das Bochumer Ruhrstadion ist bereits von aussen ein Blickfang, obschon dessen Bauweise eher einer Konzerthalle in der ehemaligen Sowjetunion als einem Fussballstadion im Ruhrpott gleicht. Doch gerade der kompakten Bauweise und dem tiefen Dach ist es zu verdanken, dass es an diesem Freitagabend sehr laut wird; besonders dann jeweils, wenn die Gegengerade in die Gesänge der Ostkurve miteinsteigt.

Während die Heimseite mittels einer Blätter-Choreografie die Klubfarben zelebriert, liefert die Gegenseite aus Dortmund einen eher enttäuschenden Auftritt ab. Ganz offenbar liegt der Fokus hier – trotz der geografischen Nähe – auf dem Revierderby mit dem Klub aus Gelsenkirchen. Für Bochum markieren die Schwarz-Gelben hingegen den Erzrivalen, während mit den Ultras Bochum (UB) die derzeit grösste Gruppierung zudem eine Freundschaft zu einigen Fans von Bayern München (Schickeria und Red Fanatic) pflegt.

Wie auf dieser Präsenz bereits 2018 beim Bochumer Gastspiel in Paderborn prognostiziert, kehrte UB unter gleichem Namen (und mit einem Banner mit der Aufschrift «unbequem unverkäuflich») damals tatsächlich nach einem Jahr ins Stadion zurück. Mit Melting Pott zog sich die zweite Gruppierung hingegen aus dem Bochumer Kurvenbild zurück. Grund für die Absenz der aktiven Fanszene war die Ausgliederung der Profiabteilung in eine aktienbasierte Kommanditgesellschaft an der Jahreshauptversammlung im Oktober 2017.

In einen wiederum erfreulicheren Rahmen reiht sich das Spiel ein: Eine schnelle Führung der Gastgeber kontern die Borussen mit dem prompten Ausgleich, verpassen es in der Folge aber gleich mehrmals – auch aufgrund eines aberkannten Treffers in der Schlussphase – die drei Zähler nach Dortmund zu bringen. So bleibt es vor 26’000 Zuschauern beim 1:1, das den BVB auf den Schlussmetern um den Meistertitel zurückwirft, während die Bochumer einen nicht budgetierten Punkt im Kampf um den Klassenerhalt zurecht wie einen Sieg feiern.


Twente Enschede - Sparta Rotterdam

Mit Blaise Nkufo geniesst ausgerechnet ein ehemaliger Schweizer Nationalspieler Kultstatus beim niederländischen Erstligisten aus Enschede (ausgesprochen Ens-che-dey). Zu verdanken hat er dies seinen Skorerqualitäten, die ihm den Titel als Rekordtorschützen und seinem Klub 2010 gar die Meisterschaft einbrachten. Ein rarer Erfolg in der verhältnismässig jungen Geschichte des Klubs, der Mitte der 1960er-Jahre einer Fusion entsprang und dessen Namenszusatz auf die gleichnamige Region zurückgeht.

Unabhängig des sportlichen Erfolgs darf Twente regelmässig ein ausverkauftes Stadion vermelden. Auch an diesem Sonntag bleiben mit dem Besuch von 29’500 Zuschauern nur wenige Sitzplätze in der steilen Baute frei, in der einzig die Gegentribüne einstöckig daherkommt. Trotz des grossen Andrangs ist die akustische Unterstützung eher mässig und auch die Choreografie, die aufgrund einer nicht durchgehenden Aufhängung bei der Ausführung zerreisst, passt irgendwie ins Gesamtbild. Den Stimmungskern bilden die 1991 gegründeten Ultras im Vak-P, die aufgrund der Nähe zur deutschen Grenze auch eine Freundschaft zu den Anhängern des FC Schalke 04 pflegen.

Für das direkte Verfolgerduell im Kampf um das internationale Geschäft sind auch einige Fans aus Rotterdam angereist. Insbesondere im Meisterjahr von Feyenoord bleibt dem Klub aber wiederum nur die Nebenrolle in der Stadt. Immerhin dürfen die Sparta-Anhänger rund um die Gruppe Spangenaren – mit Gerard Butler auf der Zaunfahne – beim 3:3 gegen die «Tukker» nach dem Ausgleich in der Schlussminute ausgelassen jubeln.


De Graafschap - ADO Den Haag

«Wenn du guten Fussball sehen willst, bist du hier am falschen Ort», warnt mich mein Kontaktmann Geert-Jan verschmitzt vor. Dabei sorgt der idyllische Waldweg zum nach einem Teich benannten Stadion «De Vijverberg» (gesprochen De Faiferberch) bei mir bereits für erhöhten Pulsschlag. Aus architektonischer Sicht stellt die Spielstätte eine Mischung aus Loftus Road und Mendizorrotza dar und imponiert mir mit zahlreichen Malereien zur Klub- und Fangeschichte sowie einem selbstgestalteten Klubheim bereits von aussen.

Zurecht sind die Menschen in Doetinchem (Du-tin-chem), der mit 60’000 Einwohnern grössten Gemeinde im Achterhoek, stolz auf ihren Klub. Die ländlich geprägte Region begründet nicht nur den Klubnamen De Graafschap, sondern ist auch für den Übernamen «Superboeren» (Superbauern) verantwortlich. Einst als Schmähgesang vom Rivalen aus der nahegelegenen Grossstadt Arnhem initiiert, haben ihn die blau-weissen Fans mittlerweile zum eigenen Markenzeichen adaptiert.

Mit der Brigata Tifosi geniesst beim niederländischen Zweitligisten der Kern der Anhängerschaft denn auch über die Landesgrenzen hinaus einen ansehnlichen Ruf und pflegt Kontakte nach Duisburg (Proud Generation) und Palermo (Curva Nord Inferiore). Wie viele nationale Fanszenen kämpft auch die Brigata Tifosi gegen stetig wachsende Repressionen, die bei Auswärtsspielen nebst verpflichtenden Bus-Match-Ticketkombinationen teils in einem Vouchersystem mit der einzigen Eintauschmöglichkeit an einem dezentralen Treffpunkt am Spieltag selbst gipfeln. Im Gegensatz zu Deutschland wird in den Niederlanden seitens der Exekutive eher auf eine Prophylaxe-Strategie gesetzt, während am Spieltag selbst nur selten ein derartiges Aufgebot an Bereitschaftspolizisten wie jeweils beim östlichen Nachbarn im Einsatz steht.

Auf dem Rasen gelingt den Gästen aus Den Haag kurz vor Spielende mit der ersten grossen Torchance der einzige Treffer der Partie. Das 0:1 vor 10’129 Zuschauern, darunter eine Abordnung an verspätet eingetroffenen Gästefans, markiert für De Graafschap endgültig eine weitere Übergangssaison.